Wie können Unternehmen mit der aktuellen Pandemie-Krise umgehen und welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung? Hierzu geben Experten aus dem "Zentrum digitale Arbeit" Antworten in aktuellen Interviews.

Warum lohnt es sich, jetzt und in Zukunft in betriebliche Personalarbeit zu investieren?
Prof. Uhlmann: Gegenwärtig bestimmt in vielen Unternehmen der Krisenmodus das Tagesgeschehen und das vor der Corona-Krise wichtige Thema Gewinnung und Bindung von Fachkräften ist komplett in den Hintergrund getreten zugunsten der Liquiditäts- und Fachkräftesicherung (vor Entlassung). Das sind ohne Frage derzeit existenzielle Herausforderungen. Dennoch braucht es jetzt erst recht auch eine wirksame Personalarbeit von der Personalabteilung, falls vorhanden bis zur operativen Führungskraft in der Werkhalle oder im Büro. Gerade in schwierigen und unsicheren Zeiten braucht es umso mehr Orientierung, gute Kommunikation und auch klare Regeln und Routinen für neue Situationen. Das schafft Sicherheit und Motivation in der Belegschaft und sorgt damit für die Aufrechterhaltung der betrieblichen Wertschöpfung.
An dieser Stelle sind gut aufgestellte Unternehmen mit geordneten Prozessen und klaren Kommunikationsstrukturen im Vorteil, wobei das keine Frage der Unternehmensgröße ist. Beschäftigte, die in dieser schwierigen Zeit eine gute Führung und Begleitung erfahren haben, werden dies ihrem Unternehmen vermutlich auch nach der Krise danken und sich weiterhin an das Unternehmen gebunden fühlen und motiviert ihren Aufgaben nachgehen. Im Nachteil sind hier eindeutig Unternehmen, die eine Präsenz- und Anordnungskultur pflegen, nicht oder schlecht kommunizieren bzw. intransparent und widersprüchlich handeln. Da auch künftig solche VUCA-Zustände nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel bilden, ist es wichtig betrieblich dafür gerüstet zu sein. Zur Erläuterung: VUCA steht für volatil, undurchschaubar, komplex und mehrdeutig.

Stellt die Gewinnung von Fachkräften und neuen Beschäftigten bei zunehmender Digitalisierung eine stärkere Herausforderung dar?
Prof. Uhlmann: Das ist ohne Frage zu erwarten, da viele Unternehmen nach Fachkräften mit vergleichbaren Kompetenzen suchen – das betrifft sowohl den öffentlichen Bereich und Verwaltung als auch mehr oder weniger die gesamte Wirtschaft. Dabei geht es keineswegs nur um die Spezialisten, die Software und Apps oder Hardware entwickeln, sondern um Fachkräfte und Beschäftigte aus allen Bereichen, die über eine digitale Grundbildung, die sogenannte digital literacy, verfügen müssen. Darüber hinaus sind sogenannte transversale Kompetenzen gefragt. Dabei handelt es sich um fächer- und berufsübergreifende, also universelle Kompetenzen, wie Selbstlern-, Medien- und Gestaltungskompetenzen. Wie wichtig diese Fähigkeiten sind, merken wir gerade in der aktuellen Situation, die von Arbeit auf Distanz, Selbstorganisation und expansiver Mediennutzung zur Kommunikation und Abstimmung geprägt ist. Diese quer zur Fachlichkeit liegenden Kompetenzen sind in unserer dynamischen Zeit absolut notwendig, um berufsspezifische Kompetenzen optimal anwenden und auch weiterentwickeln zu können. Sie sind somit zentral für die Beschäftigungsfähigkeit, da sie die Handlungsfähigkeit von Personen innerhalb von Organisationen erhöhen. Der entstehende Vorteil für Unternehmen liegt natürlich auf der Hand: Kompetente Mitarbeiter tragen zur Resilienz des Unternehmens bei und diese ist heute nötiger denn je!
Es ist kein Geheimnis, dass kleinere Unternehmen bei der Fachkräftegewinnung strukturelle Nachteile gegenüber größeren Unternehmen aufweisen. Strukturen und Funktionen der Personalarbeit sind oft nicht vorhanden, mit der Folge fehlender Routinen und mangelnder Professionalität der Personalarbeit. Hinzu kommt ein unterdurchschnittlicher Digitalisierungsgrad bei wiederkehrenden Personalaufgaben, wie z.B. Arbeitszeiterfassung, Lohnabrechnung, Dienstreisebeantragung und -abrechnung bis hin zu betrieblichen Unterweisungen. Diese vergleichsweise leicht zu automatisierenden Standard-Aufgaben binden Ressourcen und Motivation bei den ausführenden Personen, die bei der inhaltlichen Personalarbeit, wie Onboarding- und Offboardingprozessen sowie Personalentwicklung fehlen. Zur notwendigen Steigerung der Agilität und Flexibilität im Unternehmen besteht hier dringender Handlungsbedarf. Daran hat sich in der aktuellen Situation nichts verändert, im Gegenteil!
Es ist bekannt, wie wichtig professionelle Rekrutierungs- und Einarbeitungsprozesse für die Gewinnung und Bindung von Fachkräften sind und es schmerzt, wenn man sieht, welches Potenzial hier von vielen Unternehmen verschenkt wird. Im Übrigen ist es nicht primär eine Größenfrage, sondern eine Frage wie man diese Prozesse organisiert und gestaltet, es gibt eine Reihe von erfolgreichen kleinen Unternehmen, die zeigen, dass es unabhängig von der Unternehmensgröße geht.

Wie kann die Heranführung der bestehenden Belegschaft an veränderte Kompetenzanforderungen gelingen?
Prof. Uhlmann: Dafür braucht es natürlich die Bereitschaft der Betroffenen und eine entsprechende Kultur im Unternehmen. Üblicherweise stehen beide Aspekte im Zusammenhang. Es ist also wichtig, die Beschäftigten dort abzuholen, wo sie stehen und sie auf die Reise mitzunehmen. Das ist nicht trivial, aber machbar. Wichtig ist an den Anfang die Frage zu stellen, was das Unternehmen voranbringt, also ausgehend von einem Ziel die Bedarfe gemeinsam mit den Betroffenen zu entwickeln. Ich bin ein großer Fan davon, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Dabei muss natürlich der Aufwand der Herausforderung angemessen sein. Das bedeutet, wir reden jetzt mal über das Grundsätzliche: also beispielsweise über Qualifizierungsherausforderungen, die im Zusammenhang mit der digitalen Transformation stehen, also unsere bisherigen Routinen im Betrieb in Frage stellen oder vielleicht sogar überflüssig machen. Dieses Beispiel macht deutlich, dass es gar nicht trivial ist, hier konkrete Kompetenzanforderungen und daraus abgeleitet Qualifizierungsbedarfe zu bestimmen. Wir müssen demnach einen Weg finden, um Bedarfe zu entwickeln, die uns dem Ziel näherbringen. Das klappt natürlich in einer Umgebung oder besser gesagt Kultur mit empowerten (mitdenkenden und mitgestaltungswilligen) Beschäftigten besser als mit Mitarbeitenden, die es gewohnt sind, auf Anordnungen zu reagieren und deren Meinung oder Ideen im Betrieb nicht gefragt sind. Dazu braucht es einen Kulturwandel, der von der Unternehmensführung ausgeht. Dafür war in Ostdeutschland bis zum Beginn der Corona-Krise ein perfekter Zeitpunkt: Viele Unternehmen, die vor gut 25 bis 30 Jahren nach dem Mauerfall entstanden sind, stehen jetzt vor einem Generationenwechsel. Dieser Wechsel an der Führungsspitze ist sehr oft mit einem Kulturwechsel hin zu mehr Beteiligung und Verantwortungsübernahme verbunden. Mit einer derartigen Demokratisierung im Unternehmen entstehen natürlich auch neue Lernerfordernisse für alle Beteiligten. Es gilt, möglichst viele Menschen mitzunehmen und zu befähigen, damit sie diesen Wandel als positiv und persönlich gewinnbringend empfinden. Erfolgskritisch sind hier natürlich die operativen Führungskräfte. Somit kann wesentlich besser die sogenannte Schwarmintelligenz – also die Intelligenz vieler, die nah an betrieblichen Prozessen dran sind – genutzt werden. Gruppen erarbeiten fast immer die effektivere Lösung eines komplexen Problems, weil soziale Dynamiken, Beteiligung und eine echte Fehlerkultur ungeahnte Kräfte freisetzen können.
Entwicklungen und Veränderungen werden dann als weniger bedrohlich empfunden, das muss man aber lernen und trainieren. Gleichzeitig steigt die Bereitschaft, Neues zu lernen – im besten Fall wird das zur betrieblichen Routine. Veränderung ist die neue Routine, das durchleben wir ja gerade kollektiv! Bleibt zu hoffen, dass der krisenbedingte Digitalisierungsschub auch Reflexionsprozesse auslöst und zu nachhaltigen Veränderungen im Denken und Handeln aller führt und wir nicht wieder in den „Normalmodus“ vor Corona zurückfallen.


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